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Exakt 11-2019
Innenausbau

Modernisierte Alkoven

Lern-, Forschungs- und Veranstaltungsort zugleich: Architekturstudenten der Fachhochschule Erfurt haben neue Raumkonzepte für das über 300 Jahre alte Schloss Wiehe in der Nähe von Erfurt entworfen und realisiert. Durch Holzeinbauten entstanden dort minimalistische Gästezimmer.

Fotos

Die Visualisierung des Projekts zeigt, wie mithilfe kluger Raumsysteme funktionale Zimmer entstehen.
Foto: Prof. Joachim Deckert
Mit dem Projekt Schloss Wiehe will die Fachhochschule Erfurt einen Ort für Tagungen und Exkursionen schaffen, der eine andere Lern- und Lehrsituation bietet als die gewohnte Umgebung aus Seminarräumen und Hörsälen. Das Schloss aus dem 17. Jahrhundert, das ursprünglich ein adliger Familiensitz war und zu DDR-Zeiten als Schule und Wohnheim genutzt wurde, soll künftig für Workshops, Unterbringungen von Stipendiaten und Gästen, Sommerfesten und Kompaktseminaren genutzt werden. Hinzu kam die Vision, diesen Ort gemeinsam zu entwickeln und zu nutzen.

Das seit den 1990er-Jahren leer stehende Schloss Wiehe wurde als Standort gewählt, um der strukturschwachen Region einen Impuls zu geben. Schließlich bietet es sich mit seinem großen Raumangebot, dem Schlosshof und einem riesigen Park für Veranstaltungen an.

Praxisnahe Planung

Im Erdgeschoss befinden sich mehrere Säle, eine Küche und WCs mit provisorischen Duschen. Das erste Obergeschoss befindet sich teilweise noch in der Bauphase. Hier gibt es zwei Aufenthaltsräume, die mit historischen Möbeln als Leihgaben ausgestattet sind. Die zweite Etage mit gut 600 Quadratmetern befand sich am Anfang der Umbauarbeiten komplett im Rohbau und wird nach und nach von den Studenten saniert. Mittlerweile wurden bereits drei Musterzimmer realisiert, die jeweils Platz für ein bis vier Gäste bieten.

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Durchdachte Einbauten bieten Stauraum und Sitzmöglichkeiten.
Foto: Prof. Joachim Deckert
Dazu hat man die ursprüngliche Raumstruktur unterteilt, um neue, kleinere Räume zu erschließen. Das Besondere dabei ist, dass die Teilnehmer ihre eigenen Raumkonzepte direkt vor Ort realisieren können und so neben der theoretischen Planung vor allem in der Praxis Erfahrungen sammeln. Elektro- und Sanitärplanung, Möblierungs- und Beleuchtungskonzept sind mit einer dezidierten Werkplanung zu erarbeiten – zuzüglich Kostenschätzung und Ablaufplanung. Daran schließt sich die zweimonatige Realisierungsphase an. Währenddessen übernachten die Teilnehmer auf Feldbetten im Schloss.

Allein das Organisieren der Baumaterialien und erforderlichen Werkzeuge stellte eine Herausforderung dar. Dabei wurden die Studenten von dem örtlichen Handwerker Frank Bigeschke tatkräftig unterstützt und mit fachlichen Tipps und Hinweisen angeleitet. So wurden Trockenbauwände gestellt, der alte Dielenboden ergänzt, abgeschliffen und mit Wachs versiegelt. In der Hochschulwerkstatt in Erfurt hat man die Unterkonstruktionen der Einbauten hergestellt. Hierbei gab es Unterstützung von den dortigen Meistern und Studenten mit entsprechenden Fachausbildungen, also etwa gelernten Tischlern.

Das Experiment ist geglückt, die ersten drei Musterzimmer sind nutzbar. Bei Zimmer eins zeichnet klosterhafte Kargheit das Design aus. Ein weißes Möbel erstreckt sich auf Sitzhöhe entlang des schmalen Raumes. Darin eingelassen sind eine Liegefläche, ein Schubfach, Toilette und Dusche. Das Waschbecken steht als scheinbar bewegliches Accessoire auf dem Board. Die vorgestellte Rückwand verdeckt die Aufputzleitungen, die die Eingriffe in die historische Bausubstanz auf ein Minimum reduzieren. Bei zwei weiteren bisher realisierten Musterzimmern wurden aus einem größeren Raum zwei kleine mit Flur und Bad. Thema war das Himmelbett, in dessen filigrane Stahlkonstruktionen das Lichtkonzept integriert wurde.

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Hinter der doppelten Außenwand finden Schrank und Dusche Platz.
Foto: Prof. Joachim Deckert
Durchdachtes Raumkonzept

Das vierte Musterzimmer wurde im Sommersemester umgesetzt. Bei der Konzeptauswahl entschied sich die Hochschulgruppe für die Idee, die Außenwand zu verdoppeln und so weit in den Raum zu schieben, dass in dem Zwischenraum Dusche, WC, Waschbecken und Schrank Platz finden. Dieses neue Element, der Alkoven, wurde früher in Burgen häufig als Sitzfläche genutzt. In dem Musterzimmer minimiert er die Eingriffe in den Raum und hebt sich als weißer, schlichter Körper ab. Grifflose Türen von Schrank und Bad unterstreichen die monolithische Erscheinung. Des Weiteren wurde der Unterzug parallel zur Außenfassade mit einem gewölbten Paneel kaschiert. Minimalismus und helle Farben ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Gestaltungskonzept.

Darin fügt sich die wandbündige Drehtür ein, die mit dem Innentürsystem „Kontura“ von Wingburg realisiert wurde. Die zargenlose Optik und die verdeckt liegenden Türbänder entsprechen den Anforderungen an eine moderne Architektur. Features wie ein Einzugsdämpfer bieten Komfort. „Insbesondere überzeugte das Drehtürsystem, weil es eine reduzierte Ästhetik ermöglicht. In der gleichen Farbe wie die Wand ist die Tür nahezu unsichtbar. Zusätzlich schließt sie geräuschlos und stört so keine anderen Gäste“, erläutert Professor Joachim Deckert die Entscheidung der Studenten. Neben der Tür wurden Türgriff, Lichtschalter und Steckdose flächenbündig ausgeführt.

Zur Finanzierung des Projektes wurde der Verein Landlab Schloss Wiehe von Professor Joachim Deckert gegründet. Weitere Fördermittel kamen vom Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz. Die Projektteilnehmer beschaffen die Materialien, die sie für die Umsetzung ihres Musterzimmers benötigen, eigenständig. Für das Mobiliar und einzelne Bauelemente konnten zudem mehrere Sponsoren gefunden werden.

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